Gibson ES-Gitarren Teil 1 – Die Anfänge
Wer einen Blick auf die Anfänge der mittlerweile schon ein ganzes Jahrhundert umspannenden Entstehungsgeschichte der E-Gitarre wirft, kommt nicht umhin, sich mit der umfangreichen Historie der berühmten Gibson ES-Modelle zu beschäftigen. Immerhin waren die ikonischen Instrumente von Anfang an dabei und leisteten maßgebliche Pionierarbeit, was die Entwicklung der E-Gitarre bis zu ihrer heute bekannten Form anbelangt. Grund genug also, einen genaueren Blick auf historische Modelle und zeitgenössische Ausführungen der Serie zu werfen!
ES für „Electric Spanish“
Die Bezeichnung „Electric Spanish“, die sich hinter dem Kürzel ES verbirgt, nimmt auf gleich zweierlei Dinge Bezug: zum einen sind sämtliche ES-Modelle mit mindestens einem Magnet-Tonabnehmer zur elektrischen Verstärkung versehen, zum anderen sind sie dazu gedacht, wie traditionelle spanische Klassikgitarren aufrecht auf dem Schoß oder am Gurt gespielt zu werden. Dadurch unterscheiden sie sich maßgeblich von den flachliegend gespielten Lap-Steel-Gitarren, wie z. B. der berühmten Rickenbacker Frying Pan.
In Abgrenzung zu den bis dahin bekannten akustischen Gibson-Instrumenten der Zwanzigerjahre, die die goldene Ära des Instrumentenpioniers und damaligen Chef-Designers Lloyd Loar darstellte und legendäre Instrumente wie die F-5 Mandoline oder die L-5 Archtop-Gitarre hervorbrachte, standen die ES-Instrumente also für einen völlig neuen Gitarrentyp, dem in der Musik des 20. Jahrhunderts eine besondere Schlüsselrolle zukommen sollte.
1936: Gibson ES-150

Den Anfang der berühmten ES-Linie bildete zunächst die 1936 eingeführte Gibson ES-150, die als erste serienmäßig produzierte Schlaggitarre mit Magnet-Tonabnehmer in die Geschichte einging. Die nach klassischer Bauart konstruierte Archtop bot eine handgeschnitzte Fichtendecke mit traditionellen F-Löchern auf Ahornboden und –Zargen, dazu einen Archtop-Palisandersteg und Poti-Knöpfe aus für Sammler heutzutage heißbegehrtem Bakelit. Ihre Modellbezeichnung lässt sich auf den damaligen Einführungspreis von 150$ zurückführen, in dem zur damaligen Zeit neben der Gitarre selbst jedoch auch ein Verstärker und ein zugehöriges Instrumentenkabel mit inbegriffen waren.
Besondere Bekanntheit erlangte das Instrument in den Händen des viel zu früh verstorbenen Jazz-Pioniers Charlie Christian, dessen Name bis heute untrennbar mit dem in der ES-150 verbauten Tonabnehmer verbunden ist. Obwohl damals bereits einige einfache Piezo-Tonabnehmersysteme existierten, konnten sich diese nicht durchsetzen, da sie aus klanglicher Sicht nicht dem gewünschten Ideal entsprachen. Somit war die ES-150 mit ‚Charlie Christian Pickup‘ tatsächlich die erste Schlaggitarre, die nicht nur mit der Lautstärke der immer größer werdenden Jazz-Ensembles mithalten konnte, sondern auch einen mehr als akzeptablen Klangcharakter aufwies.
Nach dem großen Erfolg der Gibson ES-150 diversifizierte Gibson schon bald das Gitarrensortiment und brachte 1938 zwei weitere ES-Modelle auf den Markt: die günstigere ES-100 mit geringeren Korpusmaßen und die kurzlebige ES-250 als teurere Premium-Ausführung mit zusätzlichen optischen Upgrades. Auch ein neuer Tonabnehmer, in damaligen Katalogen als ‚Gibson Offset Adjustable Pickup Unit‘ bezeichnet, kam in Stegposition zum Einsatz, konnte die damaligen Big-Band-Gitarristen jedoch nicht überzeugen.
1940 – 1950: der P-90 wird geboren

Zu Beginn der Vierzigerjahre stellte Gibson das bisher noch recht überschaubare ES-Sortiment um. So war das bisherige Premium-Modell Gibson ES-250 ab 1940 unter der Bezeichnung ES-300 in den Gibson-Katalogen zu finden, die ES-100 wurde hingegen als Student-Modell ES-125 neu eingeführt. Anstelle der bisher verwendeten Pickup-Ausführungen kam nun ein Tonabnehmermodell mit einstellbaren Pole Pieces in der Stegposition zum Einsatz, mit dem Spieler die Lautstärke aller sechs Saiten aufeinander abstimmen konnten. Bis auf weitere minimale Änderungen blieben die Instrumente ihrem bisherigen Design zunächst jedoch größtenteils treu.
Als die Gitarrenproduktion 1946 in Kalamazoo nach Kriegsende wieder anlief, stellte Gibson einen neuen Tonabnehmer-Typen vor, der bis zur Erfindung des Humbuckers den typischen Gibson-Sound nachhaltig prägen sollte: den P-90 Pickup. Zunächst kam der P-90 in seiner bis heute bekannten ‚Dogear‘-Bauform in der ES-125 zum Einsatz und ersetzte den bisherigen Übergangs-Pickup. Die ES-300 zog hier schon bald nach und wurde ab Ende der Vierzigerjahre sogar um einen weiteren P-90 Tonabnehmer in Stegposition erweitert.
Seinen wahren Höhepunkt sollte der P-90 allerdings erst einige Jahre später erfahren, als er eine Generation neuartiger ES-Gitarren begleitete, die für die neu aufkommende Spielart des Rock ’n‘ Roll wie geschaffen waren …
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