Talent oder Üben?
„Du spielst Gitarre? Cool, das wollte ich auch immer können, aber ich habe kein Talent!“
Diesen Satz habe ich in meinem Leben unzählige Male gehört. Ehrlich gesagt halte ich vom Begriff Talent überhaupt nichts. Es geht nicht um eine angeborene Begabung, sondern schlicht darum, sich Zeit zu nehmen und zu üben. Man muss es einfach tun.
Heute ist das Erlernen eines Instruments einfacher denn je. Es gibt qualitativ hochwertige Einsteigerinstrumente zu Spitzenpreisen und ein riesiges Angebot an Lernmöglichkeiten: Gitarrenunterricht, Videokurse oder einfach YouTube – alles ist leicht zugänglich. Paradiesische Zustände!
Im Folgenden möchte ich euch ein paar Gedanken mitgeben, die eure musikalische Reise beschleunigen und zeigen, warum das Lernen eines Instruments manchmal anstrengend sein kann – und warum es sich trotzdem lohnt.
Ein Instrument lernen – die Theorie
Im Gegensatz zum Lernen für einen Mathe- oder Vokabeltest, wo man vor allem Wissen aufnimmt, spielt sich das Erlernen eines Instruments auf mehreren Ebenen ab. Neben theoretischem Wissen steht die motorische Umsetzung im Vordergrund. Das dafür zuständige prozedurale Gedächtnis ist jedoch eher „gemütlich“. Bewegungen müssen immer wieder wiederholt werden – das kann mühsam sein und zu Frust führen.
Der Vorteil: Diese Abläufe bleiben im Langzeitgedächtnis und sind über viele Jahre abrufbar. Genau wie beim Fahrradfahren gilt: Einmal gelernt, verlernt man es nicht.
Eine weitere wichtige Fähigkeit ist die Audiation – also Musik im Kopf hören zu können, ohne sie zu spielen. Wer weiß, wie eine Melodie klingt, kann sie leichter auf dem Instrument umsetzen.
Ein Instrument lernen – die Praxis
Das Lernen eines Instruments ist eine Mischung aus Wissen, Bewegung und Vorstellungskraft. Der Schlüssel dazu: Üben, Spielen, Komponieren, Aufnehmen, Auftreten und Musik hören.
Üben
Üben bedeutet bewusstes und zielgerichtetes Wiederholen. Beispiele beim Gitarre lernen: Akkordgriffe, Tonleitern, Plektrumhaltung, Bending, Vibrato, Soundgestaltung oder Intonation. Wichtig sind kurze, konzentrierte Übephasen ohne Ablenkung.
Spielen
Spielen heißt, das Geübte anzuwenden – im Proberaum, mit Backing Tracks oder live. Während Üben unter „Laborbedingungen“ stattfindet, ist Spielen praxisnah. Dabei geschieht vieles unterbewusst, was es leichter und oft inspirierender macht.
Komponieren
Komponieren heißt nicht gleich eine Sinfonie schreiben. Schon ein Riff oder ein Solo zu entwickeln bringt einen weiter – und zeigt oft die eigenen Grenzen auf. Diese führen wiederum zurück zum gezielten Üben.
Aufnehmen
Eigene Aufnahmen sind ein hervorragendes Korrektiv. Schon mit dem Handy lassen sich Timing, Intonation oder Sound überprüfen. Fehler werden sofort hörbar und lassen sich gezielt verbessern.
Auftreten
Auf der Bühne lernt man am meisten. Nervosität sorgt oft dafür, dass nicht alles perfekt klappt. Doch genau das gehört dazu. Mit jedem Auftritt wächst die Routine und Sicherheit.
Musik hören
Aktives Zuhören ist unverzichtbar: Bassläufe erkennen, Fill-Ins wahrnehmen, Gitarrenstimmen unterscheiden oder Effekte identifizieren. Das trainiert das Ohr, erweitert den musikalischen Horizont und verbessert das Zusammenspiel in der Band.
Woher kommt das Wissen?
Der klassische Weg führt über die Musikschule. Mit einer guten Lehrperson begleitet einen Unterricht oft jahrelang und kann sogar bis zum Musikstudium führen. Parallel dazu war autodidaktisches Lernen noch nie so einfach. YouTube, Lernplattformen wie Truefire oder bewährte Lehrbücher bieten unerschöpfliches Material. Egal ob Bluesgitarre, Rocklicks oder Jazzharmonie – für jeden Geschmack gibt es Inhalte. Wichtig ist, immer wieder über den eigenen Tellerrand zu schauen, sowohl was den Schwierigkeitsgrad als auch die Stilistik betrifft.
Fazit: Ein Instrument zu erlernen ist kein Hexenwerk
Kehren wir zum Anfang zurück. So sollte es klingen: „Du spielst Gitarre? Cool! Du hast bestimmt viel Zeit investiert und bist drangeblieben, um so gut zu werden.“
Ein Instrument zu erlernen ist Arbeit – daran führt kein Weg vorbei. Aber es lohnt sich. Und Hand aufs Herz: Es ist das schönste Hobby der Welt.