Overdrive-Klassiker für den kleinen Geldbeutel? – TS-Klone im Vergleich

Grün ist die Hoffnung – und auch der legendärste Overdrive

Während ich diesen Text schreibe, schlürfe ich genüsslich meinen Kaffee aus meiner minzgrünen Tube-Screamer-Tasse. Genauso cremig wie der Michschaum meines Cappuchinos meine Speiseröhre hinabgleitet, so legt sich die himmlisch, sahnige Zerre des Tube Screamers sanft in meinen Gehörgang und massiert liebevoll mein Trommelfell. Nicht nur die Pedal-Nerds, die richtig tief in die Effekt-Kaninchenhöhle gefallen sind, sondern fast alle Gitarristen denken beim Stichwort „grünes Pedal“ sofort an diesen sagenumwobenen Klassiker.

Der Ibanez Tube Screamer hat die Herzen aller Gitarristen seit den späten 70ern höherschlagen lassen – mit seiner charakteristischen Mittenbetonung, seiner karamellweichen Zerrstruktur und seiner fast schon singenden Art, sich in den Mix zu schmiegen wie Butter auf warmem Toast.

Ein Tube Screamer ist kein Tube Screamer

Ein Pedal, das so gut ist, dass ein Stevie Ray Vaughan sogar ganze zwei Stück davon auf seinem geliebten Pedalboard platziert hat. Als Antwort darauf hat der US-Pedalhersteller Visual Sound (heute Truetone) den „Double Trouble“ ins Leben gerufen. Ein Pedal in welchem eben zwei TS-Schaltkreise in einem Gehäuse zu finden sind.

Man kann über diese Rocklegende und dessen Ableger ein ganzes Buch schreiben. Der Titel wäre dann wohl „Rockbibel“. Über 50 Jahre Musikgeschichte in beinahe allen erdenklichen Genres wurden von diesem hulkgrünen Brühwürfel begleitet. Kein Wunder also, dass Nachbauten, Hommagen und Klone wie Pilze aus dem moosbedeckten Waldboden sprießen.

Vergleich in der Einsteiger-Preisklasse

Drei der TS-Style-Overdrives aus dem Preiseinstiegsbereich stellen sich heute dem knallharten Urteil des Pedaltesters: Der Behringer TO800, das Yuer RF-10 Vintage Overdrive und der Fame Tube Steamer. Alle drei kosten weniger als ein Restaurantbesuch – doch wie viel TS steckt wirklich drin? Und welcher der Kandidaten ist der König des Low-Budget-Zerrens?

Vorweg ein Disclaimer: Es handelt sich um Pedale des gleichen Typs. Die unten beschriebenen Unterschiede sind eher marginal. Es liegen definitiv keine welten zwischen den Pedalen. Aber wer genau hinhört, wird dezente Unterschiede in der Dynamik und im Zerrverhalten feststellen.

1. Behringer TO800 – Der grüne Plastikritter

Behringer TO800 Tube Overdrive Effektpedal
Behringer TO800 Tube Overdrive

Verarbeitung & Optik

Der TO800 aus dem Hause Behringer trägt sein Erbe offen zur Schau. Grün? Check. Drei Knöpfe mit denselben Namen wie beim Original? Check. Vintage-Label? Check. Nur beim Gehäuse musste gespart werden – hier regiert Plastik statt Metall. Das fühlt sich nicht unbedingt nach langer Weltournee auf den großen Bühnen an.

Eher nach Proberaum mit Teppich am Boden und an den Wänden. Aber da sind wir doch alle gestartet, das ist Rock n Roll, das ist Punk, das ist Metal! Und immerhin: Die Potis laufen geschmeidig, der Fußschalter klickt solide, und die LED leuchtet fröhlich wie ein Glühwürmchen nach der dritten Tasse Espresso.

Klang & Charakter

Optik ist schön und gut, denn auch das Auge spielt mit. Aber was uns wirklich interessiert, ist natürlich der Sound. Der TO800 klingt – verdammt nah dran. Kein Witz, er ist schon gefährlich nah dran! Die Verzerrung ist angenehm weich, leicht mittig gefärbt, ohne matschig zu werden. Mit dem Drive auf 12 Uhr kriegt man das perfekte Crunch-Rhythmus-Bett, das förmlich schreit: „Spiel mich unter einem Marshall-Clean-Kanal!“.

Auch als Solo-Booster macht er eine solide Figur – die Mittenanhebung sorgt dafür, dass Leads durch den Mix schneiden wie ein heißes Messer durch eine Sahnetorte. Natürlich habe ich den High Gain-Test nicht ausgelassen und auch hier kriegen wir genau was wir wollen und brauchen. Straffe Bässe, aggressive Mitten und stählerne, kompromisslose Chugs.

Im direkten Vergleich zum Original wirkt der TO800 minimal dumpfer und weniger dynamisch, aber: Für diesen Preis (unter 30 Euro!) ist das schlichtweg unglaublich.

Fazit TO800

Pro: Echter TS-Charakter, extrem günstig, klanglich überzeugend
Contra: Plastikgehäuse und -Potiknöpfe, kein true bypass
Kürzestmeinung: „Mehr Screamer fürs Geld kriegt man nicht – solange man keine Panzer drüberfahren lässt.“

Mehr Infos zum Behringer TO800 Tube Overdrive

2. Yuer RF-10 Series Vintage Overdrive – Die Überraschung aus Fernost

Yuer RF-10 Series Vintage Overdrive Effektpedal
Yuer RF-10 Series Vintage Overdrive

Verarbeitung & Optik

Der chinesische Hersteller Yuer fliegt bei vielen unter dem Radar. Aber das völlig zu Unrecht, denn sie können nicht nur günstig, sondern auch gut – das wird uns mit der gesamten RF-10 Serie, aber besonders mit der TS-Hommage deutlich bewiesen.

Das kompakte Mini-Gehäuse aus Metall macht einen äußerst robusten Eindruck. Die Potis sitzen straff, der Fußschalter klickt klar, und das Design erinnert, zumindest im Entferntesten, an das Vorbild. Das klassische Grün ist’s nicht, sondern silbern mit türkisem Einschlag. Aber hey, wir kaufen ja mit den Ohren, nicht mit den Augen – zumindest meistens!

Klang & Charakter

Hier wird’s spannend. Schon bei den ersten Akkorden fällt auf: Der Yuer klingt anders als der TO800 – nicht schlechter, aber anders. Weniger Mitten-Buckel, mehr Präsenz im oberen Mittenbereich. Die Zerrung ist offen, fast schon bissig, mit leicht kratzigem Charakter. Eher ein Rock- als ein Blues-Zerrer, und perfekt für Gitarristen, die nicht nur schmelzen, sondern auch schneiden wollen.

Der RF-10 eignet sich ebenfalls hervorragend als Booster – denn er färbt den Sound etwas weniger als die anderen Probanden. Wer auf einen möglichst transparenten Gain-Stups aus ist, findet hier einen treuen Helfer. Gleichzeitig reagiert er erstaunlich gut auf das Spiel – ein echtes Highlight in dieser Preisklasse. Auch den Heavy Test besteht der Kollege mit Bravur.

Auch hier zeigt sich die Ibanez Legende etwas dynamischer und offener im Höhenbereich. Allerdings ist das in diesem Preiskontext (ebenfalls unter 30,-€) Jammern auf hohem Niveau.

Fazit RF-10 Vintage Overdrive

Pro: Robustes Metallgehäuse, differenzierter Klang, true bypass
Contra: Weniger „screamer-esque“, etwas spitzer Klang
Kürzestmeinung: „Nicht grün, aber gemein – der Yuer zeigt Zähne.“

Mehr Infos zum Yuer RF-10 Series Vintage Overdrive.

3. Fame Tube Steamer – Hausmarke mit Ambition

Fame Tube Steamer

Verarbeitung & Optik

Wer „Fame“ hört, denkt vielleicht schnell an das Musikhaus mit dem großen M. Und genau da kommt der Tube Steamer her – eine Hausmarke, die schon mit erstaunlich guten Budget-Amps überzeugt hat. Auch hier stimmt der erste Eindruck: Das Gehäuse ist satt aus Metall, die Potis fühlen sich straffer an als beim Behringer und auch beim Yuer Pedal. Zum Design sage ich dyplomatisch: „Es kommt auf die inneren Werte an“.

Ein bisschen was vom Maxon OD808, ein bisschen DIY-Look – aber blau und sympathisch! Wie ein entfernter Onkel auf der Familienfeier.

Klang & Charakter

Klanglich ist der Fame Tube Steamer der wärmeliebende Kuschelrocker unter den dreien. Im Vergleich wirkt er am weichsten, fast schon ein bisschen „mumpfig“, wenn der Tone-Regler nicht über zwölf Uhr aufgedreht wird. Aber gerade das macht ihn zum perfekten Kandidaten für alle, die ihren Sound „wie eine heiße Badewanne“ mögen.

Mit moderatem Gain ist er der Blueskönig – sahnige Licks, singende Leads, und eine butterweiche Übergangszone zwischen Clean und Crunch. Als Booster neigt er allerdings etwas zum Verschlucken der Höhen – hier muss der Tone-Regler kräftig gegensteuern. Aber schließlich ist dieser genau dafür gedacht.

Was besonders auffällt: Der Fame reagiert hervorragend auf das Volume-Poti der Gitarre. Deutlich besser, als die andern beiden Kandidaten. Rollt man das Poti etwas zurück, wird der Sound nicht einfach leiser – er wird transparenter, fast wie ein zweiter Kanal. Da schimmern erstaunliche Röhren-Vibes durch, die man bei einem Pedal dieser Preisklasse kaum erwarten würde.

Fazit Fame Tube Steamer

Pro: Weicher, musikalischer Zerrsound, gute Dynamik, solider Aufbau
Contra: Höhen etwas dumpf, weniger vielseitig
Kürzestmeinung: „Wenn der Tube Screamer einen kleinen Bruder hätte, der Jazz hört – dann wäre es dieser hier.“

Mehr Infos zum Fame Tube Steamer.

Gesamtfazit: Wer gewinnt das grüne Kräftemessen?

Entgegen der grundsätzlichen Giterristen-Denkweise gewinnt in den meisten Fällen nicht der Lauteste, sondern der, der am besten im Mix sitzt. Manchmal auch der, der einem einfach sympathisch ist, weil er im eigenen Kontext die beste Figur macht. Genau das ist hier der Fall. Es ist ein wahres Kopf an Kopf Rennen und einen klaren Sieger gibt es nicht.

Alle drei getesteten Pedale haben ordentlich was auf dem Kasten. Alle drei kommen sehr dicht an das Vorbild dran, aber jedes auf seine eigene Weise. Drei sehr unterschiedliche Typen, die alle genial verzerren können, jedoch alles andere als identisch sind.

Der Behringer TO800 ist der Schnäppchen-Tipp und kommt dem Original am nächsten – solange man mit dem Plastik-Look leben kann.

Der Yuer RF-10 Vintage Overdrive ist der moderne Rocker mit klarer Ansage – kantig, direkt, kompromisslos. Perfekt für alle Freunde der härteren Gangart.

Der Fame Tube Steamer ist der Feel-Good-Zerrer für alle, die Wärme und Dynamik lieben. Die sahnige Blues-/ Classic Rock Zerre.

Du spielst eher bluesig mit Singlecoils? Nimm den Fame. Du willst den Steve Ray Vaughan Sound, hast aber nicht dasselbe Studiobudget? Der TO800 ist dein Mann. Du brauchst Biss und Präsenz im Metal-Bandgefüge? Yuer macht dich glücklich.

Und das Beste: Für den Preis dieser drei Pedale bekommst du weder das Original, noch einen einzigen Boutique-Zerrer – aber gleich drei sehr gute Gründe, das TS808-Universum zu entdecken.

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