Alternative Tunings für E-Gitarre: Warum sollte ich die Stimmung an meiner Gitarre ändern?
Die Standardstimmung (E A D G H E) ist seit langem die Grundlage für die meisten Gitarrenspielweisen und ist besonders für Anfängerinnen und Anfänger obligatorisch. Die Standardstimmung ist unkompliziert und breit einsetzbar für sämtliche Stile und Genres – schließlich nutzen die meisten professionellen Gitarristinnen und Gitarristen die Standardstimmung nach wie vor, wodurch sich die meisten Pop- und Rock-Songs mit einfachen Standardakkorden unkompliziert lernen lassen.
Wer auf einem fortgeschrittenen Niveau unterwegs ist und kreativ werden möchte, verlässt diese Komfortzone für spannende Tuning-Experimente: Alternative Tunings für E-Gitarre eröffnen neue Möglichkeiten, lassen Routinen hinter sich und fördern unverbrauchte Harmonien und Techniken, die dich nicht nur in neue Genres katapultieren, sondern gleichzeitig dein musiktheoretisches Verständnis enorm erweitern können.
Wir schauen uns einige alternative Tunings für E-Gitarre an und zeigen, welche Vorteile bestimmte Tunings haben, in welchen Genres sie eingesetzt werden und welche alternativen Stimmungen von Musikerinnen, Musiker und Bands gerne genutzt werden!
Gängige alternative Tunings für E-Gitarre kurz erklärt:
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Open Tunings: Gitarren werden so gestimmt, dass alle leeren Saiten einen Akkord (z. B. D-Dur, G-Dur) bilden:
Open G, Open D, Open A, DADGAD – bekannt aus Blues, Rock & Folk, bestens geeignet für Slide, Akkordverstärkung und kreative Begleitmuster. -
Flat-Tunings: Das Standard-Tuning wird um einen halben Ton nach unten verlagert (E♭ A♭ D♭ G♭ B♭ E♭). Ermöglicht einen leicht dunkleren Klangcharakter, während der Zugang zum tiefen E♭ gewährt wird.
- Tiefe Standard-Tunings: Standard D (D G C F A D) oder Standard C (C F B♭ E♭ G C) eröffnen die perfekten Klangeigenschaften für den breiten Metal-Sumpf und wurden gerade in der frühen Metal-Geschichte durch ihren dunklen Grundsound beleibt..
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Drop Tunings: Beispielsweise Drop D (D A D G H E) bietet flexible Möglichkeiten, um neue Techniken und Spielweisen zu erkunden. Bietet einfachen Zugang zu Powerchords und tieferen Tönen – im Hardrock und in sämtlichen Metal-Genres weit verbreitet und gerne genutzt.
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Exotische oder experimentelle Tunings: Z. B. „Math-Rock F-Tuning“, Nashville- oder New Standard-Tuning:
Weniger geläufig, aber ideal für Sounddesigner – sie bieten unorthodoxe Griffbilder und einzigartige Soundlandschaften.

Kreativ, aber mit Tücken – Was du zu alternativen Tunings wissen solltest
Alternative Stimmungen sind ein heftiger Sprung aus der Komfortzone: Man öffnet sich für neue Klangreize, erkundet neue harmonische Abläufe und erweitert die eigene klangliche Handschrift. Viele Songwriter, Blues-, Fingerstyle- und Folk-Gitarristen sowie viele Bands aus dem Rock- und Metal-Segment nutzen beispielsweise Drop- oder Open-Tunings, um rhythmische Muster zu erleichtern oder den Gitarrenklang auf natürliche Weise zu erweitern.
Andererseits erfordern neue Stimmungen auf der E-Gitarre:
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ein Umdenken der Fingertechnik, da gewohnte Griffformen oft nicht mehr passen,
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andere Saitenstärken oder Justierungen, insbesondere bei tiefer gestimmten bzw. dickeren Saiten,
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mögliche Einschränkungen oder musiktheoretische Hürden, z. B. bei komplexen Akkordsystemen in Jazz oder unkonventionellen Stilen.
1. Open-Tunings – Offene Akkordwelten
Open G (D G D G B D) oder Open D (D A D F♯ A D)
Open Tunings sind besonders in Blues, Folk und Rock beliebt. Dabei werden die Saiten so gestimmt, dass die Leersaiten bereits einen Akkord ergeben – etwa Open G (D G D G B D) oder Open D (D A D F♯ A D). Das ermöglicht voll klingende Akkorde mit einfachen Barré-Griffen und macht diese Stimmungen zur ersten Wahl für Slide-Gitarristen wie Keith Richards (The Rolling Stones, „Brown Sugar“) oder Ry Cooder. Auch im Folk ist das verbreitet: Joni Mitchell nutzte zahlreiche offene Stimmungen, um unverwechselbare Songstrukturen zu erschaffen.
D A D G A D – Der breite Sus4-Klang
Die Stimmung D A D G A D gilt als eine der charakteristischsten „World Music“-Tunings. Sie liefert einen offenen sus4-Klang, der sich weder klar in Dur noch in Moll verorten lässt. Besonders beliebt ist D A D G A D im keltischen Folk (z. B. bei Pierre Bensusan) und im modernen Fingerstyle-Spiel. Auch Led Zeppelin nutzten dieses Tuning in „Kashmir“, um einen exotischen Klangcharakter zu erzeugen, der bis heute legendär ist. Die Stimmung eröffnet viele modale Klangfarben und eignet sich perfekt für atmosphärische Begleitungen.
2. Flat-Tuning
E♭ A♭ D♭ G♭ B♭ E♭
Beim Flat-Tuning wird jede Saite der Gitarre einen Halbton tiefer gestimmt. Dadurch bekommt man nicht nur Zugang zum tiefen E♭, sondern erreicht selbst mit einfachen Standardakkorden einen neuen Klangcharakter. Viele Grunge- und Punkrock-Bands der 90er-Jahre stimmten ihre E-Gitarren auf das Flat-Tuning, wodurch der Sound gleich eine dunklere Klangfarbe bekommt – selbst, wenn es sich nur um einen halben Ton handelt. Bands wie Green Day, Smashing Pumpkins oder Gitarristen wie Slash oder Jimi Hendrix griffen gerne auf das Flat-Tuning zurück, während unzählige andere Musikerinnen und Musiker aus den unterschiedlichsten Genres ebenso auf diese Stimmung bauen.
3. Tiefes Standard-Tuning: Einen oder zwei Ganztöne abwärts
Standard D (D G C F A D) & Standard C (C F B♭ E♭ G C)
Während wir uns beim Flat-Tuning lediglich einen Halbton nach unten bewegen, kann es selbstverständlich mit gleichbleibenden Intervallen noch weiter hinab gehen. Stimmt man vom Standard-Tuning einen Ganzton nach unten, so landet man beim Standard D-Tuning (D G C F A D). Beispielsweise profitiert Metallicas „Sad But True“ von der Standard D-Stimmung, da der ohnehin schwere Klangcharakter des Songs durch die tiefen Riffs seinen einzigartigen Flair bekommt.
Geht man einen weiteren Ganzton nach unten, so landet man schließlich beim Standard C-Tuning (C F B♭ E♭ G C). Dieses Tuning wird selbstverständlich ebenso von vielen großen Metal-Bands gerne für ihre schwere Riffarbeit genutzt.
4. Drop Tunings – Tiefe Power für alternative Rock- und Metal-Genres
Drop D (D A D G H E)
Die wohl bekannteste Drop-Variante ist Drop D, bei der nur die tiefe E-Saite einen Ganzton tiefer gestimmt wird. Dieses Tuning verschiebt den Grundton eines Power-Chords, der auf der tiefen D-Saite gegriffen wird, um einen Ganzton nach oben, wodurch man nun Zugang zum tiefen E♭ und zum tiefen D bekommt. Gleichzeitig muss man die Quinte des Power-Chords auf der A-Saite nicht mehr mit einem zweiten Finger greifen – die Quinte rutscht nun direkt unter den Grundton, wodurch lediglich ein Finger ausreicht, um einen Power-Chord auf der tiefen D-Saite spielen zu können.
Das ermöglicht mit nur einem Finger präzise Akkordwechsel in tiefen Registern, wodurch schnelle „Chord-Riffs“ oder aggressiv klingende „Chugs“ wunderbar von der Hand laufen. Dieses Tuning wird vorwiegend im Hardrock und Metal eingesetzt, andere Genres wie Punkrock, Grunge, Post-Hardcore oder andere Alternative-Rock-Genres profitieren ebenso von Drop-Tunings. Bands wie Billy Talent oder Rage Against The Machine nutzen das Drop D-Tuning in nahezu all ihren Songs, während Bands wie Nirvana oder Metallica neben vereinzelten Drop D-Einsätzen auch auf tiefere Drop-Stimmungen für ihre schweren Riffs zurückgreifen.
Drop C♯ (G♯ C♯ F♯ A♯ D♯)
Eine spannende Erweiterung ist das Drop C♯-Tuning, das im Prinzip eine Kombination aus Flat-Tuning (alle Saiten einen Halbton tiefer) und Drop D darstellt. Hierbei wird die gesamte Gitarre zunächst ins E♭-Flat-Tuning heruntergestimmt, anschließend die tiefe Saite nochmals einen Ganzton abgesenkt. Das Ergebnis ist eine tiefere Stimmung, die sich besonders im Alternative Rock und im frühen 2000er-Nu Metal etabliert hat. Bands wie Linkin Park nutzten das Drop C♯-Tuning auf zahlreichen Songs ihrer ersten Alben (z. B. Songs wie „One Step Closer“ oder „Papercut“).
Der Vorteil: Durch die zusätzliche Tiefe klingt die Gitarre wuchtiger und aggressiver, bleibt aber im Spielgefühl noch relativ nah an der Standardstimmung – Griffe und Akkordformen sind also weiterhin vertraut, nur mit mehr „Wumms“ im Bassbereich. Dieses Tuning ist ideal für alle, die den Punch eines tieferen Drops wollen, ohne den vollen Sprung auf Drop C oder gar Drop B zu gehen und durch die lockere Saitenspannung gefahr laufen, einen matschigeren Sound zu bekommen.
Drop C (C G C F A D) & Drop B (B F♯ B E G♯ C♯)
Noch tiefere Varianten wie Drop C oder Drop B sind typisch im Metalcore und im Modern Metal (z. B. Bring Me The Horizon, Killswitch Engage, System of a Down, Avenged Sevenfold), da sie wuchtige Tiefe mit aggressivem Attack verbinden. Gerade in Kombination mit High-Gain-Settings entsteht ein strammer Sound, der die tiefsten Frequenzen der E-Gitarre abdeckt. Selbstverständlich geht es auch noch weiter hinab: Drop A- oder Drop G-Tunings werden gerne in exotischen Metal-Subgenres wie Deathcore, Djent oder Progressive Metal eingesetzt.
Tipp: Bei solch tiefen Tunings empfiehlt es sich, auf eine Baritone-E-Gitarre zurückzugreifen! Die herkömmlichen 24,75″- und 25,5“-Standard-Mensuren reichen oft nicht aus, um die Saitenspannung in solchen Tiefen zuverlässig aufrechtzuerhalten. Längere Bariton-Mensuren zwischen 26“ und 27“ ermöglichen eine klarere Ansprache und besseres Attack bei tiefen Stimmungen, wodurch der Sound in diesem Frequenzbereich nicht matschig, sondern definiert klingt.

5. Exotische und experimentelle Tunings
„Math Rock F-Tuning“ (F A C G C E) – unkonventionelle Intervalle und melancholischer Klangcharakter
Das sogenannte „Math Rock F-Tuning“ (F A C G C E) erzeugt einen subtilen Fmaj9-Akkord, der überraschende Harmoniewechsel erlaubt und ungewöhnliche Intervalle fördert. Trotz minimaler Stimmungsschritte (E- und H-Saite einen Halbtn rauf, die D-Saite einen Ganzton tiefer) bereichert dieses Tuning Arpeggios und Akkordmuster mit feiner Spannung, die ideal für das verspielte, komplexe Gitarrenspiel der Math-Rock-Szene sind.
Bekannte Bands wie This Town Needs Guns („Crocodile“), American Football („Never Meant“) oder Gitarristinnen wie Yvette Young nutzen es, um ihren melancholischen Sound zu formen, und YouTube-Künstler wie Rob Scallon haben es in modernen Kompositionen weiter popularisiert. Das Tuning bietet einen frischen Ansatz für Klangarchitektur, wodurch es perfekt für alle ist, die im Math Rock neue kreative Wege suchen.
Nashville Tuning – Der 12-String-Sound auf sechs Saiten
Das Nashville- oder High-Strung-Tuning ist eine besondere Technik, bei der die tiefen vier Saiten (E, A, D, G) einer Gitarre durch dünnere Saiten ersetzt und eine Oktave höher gestimmt werden. Im Grunde imitiert man so die höheren Oktav-Saiten einer 12-String-Gitarre, während die B- und hohe E-Saite unverändert bleiben. Das Ergebnis ist ein schimmernder, glockenklarer Sound mit starkem Chime-Charakter, der sich ideal für Genres wie Pop, Folk oder rein akustische Arrangements eignet.
Prominente Beispiele sind „Hey You“ von Pink Floyd: In diesem Song nutzte David Gilmour diese Stimmung für seinen einzigartigen Klang, während z. B. „Dust in the Wind“ von Kansas durch das Nashville-Tuning seinen unverwechselbaren Schimmer erhält. Besonders spannend wird der Effekt, wenn man eine zweite oder mehr Gitarren in Standardstimmung dazumischt – so entsteht ein breites, nahezu orchestrales Klangbild.
Lohnen sich alternative Tunings für E-Gitarre?
Über diese Klassiker hinaus gibt es zahllose experimentelle Stimmungen, die neue Klangwelten eröffnen. Dazu zählt etwa das New Standard Tuning (C G D A E G), das von Robert Fripp (King Crimson) populär gemacht wurde. Auch extreme Down-Tunings sind in Stoner Rock, Doom und generell im Metal weit verbreitet. Tiefe Standard- und Drop-Tunings müssen jedoch nicht zwangsweise für harte Metal-Gefilde eingesetzt werden. Im modernen Shoegaze-Genre setzen Gitarristinnen und Gitarristen gerne auf tiefe Stimmungen, sodass bereits seichte Mid-Gain-Settings ausreichen, um breit klingende Gitarrenwände mit düsterem Flair zu erschaffen.
Alternative Gitarrenstimmungen (Open, Drop & co.) sind mehr als bloße Veränderungen der tonalen Norm. Sie sind kreative Sprungbretter, um den eigenen Horizont zu erweitern und neue musikalische Wege einzuschlagen. Sie liefern frische Klänge, inspirieren zu neuen Techniken (z. B. für Slide oder Finger-Picking) und erlauben dir, die Gitarre und insbesondere das Griffbrett neu zu entdecken. Wer bereit ist, sich vom Standard zu lösen, entdeckt überraschende Facetten und vielleicht einen neuen, persönlichen Spielstil!