Die vergessenen Helden – 6 Gitarristen, die mehr Anerkennung verdienen

Michael Landau

6 unterschätzte Gitarristen – die stillen Revolutionäre

Seit Jahrzehnten fallen auf die Frage nach den größten Gitarristen als Antwort immer wieder dieselben Namen: Hendrix, Page, Clapton, Gilmour. Doch jenseits der großen Ikonen existieren zahlreiche  unterschätzte Gitarristen, die das Instrument im Schatten der Giganten stillschweigend sowohl technisch als auch stilistisch und emotional weiterentwickelt haben. Sie touren, komponieren, unterrichten und prägen sogar den Sound anderer Stars, ohne selbst im Rampenlicht zu stehen. Höchste Zeit also, den ‚Unsung Heroes‘ der Gitarrenwelt eine Bühne zu geben, die sie verdienen!

Shawn Lane – der perfekte Techniker

Shawn Lane mit E-Gitarre
Shawn Lane (Bild: Carl Johan Grimmark)

Shawn Lane war eine wahre Naturgewalt. Wer das Glück hatte, Shawns unfassbare Lead-Arbeit live auf der Bühne erleben zu dürfen, beschrieb die Erfahrung oft als absolute Sensation – so auch George Lynch und Kirk Hammett. Seine Bands The Willys und Black Oak Arkansas fanden hierzulande nur wenig Anklang. Wer allerdings einen Blick auf die Liste derer wirft, die Shawns Ausnahmetalent erkannten und mit ihm auf musikalischer Ebene zusammenarbeiteten, wird namhafte Größen wie Ringo Starr, Johnny Cash, Joe Walsh oder Jonas Hellborg wiedererkennen.

Shawn Markenzeichen waren komplexe Melodien, die keinen Quadratzentimeter des Griffbretts ungenutzt ließen. Dies paarte er mit einer unmenschlichen Geschwindigkeit und Präzision, die bis heute ihresgleichen sucht. Trotzdem hatte jeder einzelne gespielte Ton seinen Sinn und war nicht bloßes Füllmaterial. Sein Markenzeichen war sein einzigartiger ‚Outside Sound‘: Statt den Chord Changes innerhalb der üblichen Skalen zu folgen, umspielte er diese bewusst mit verminderten Skalen, Chromatik und weit gefassten Intervallen außerhalb des erwarteten Tonvorrats. Das Resultat ist ein wunderbar chaotischer, jedoch charakterstarker Sound, der selbst bei Technikgiganten wie Buckethead oder Paul Gilbert bleibende Eindrücke hinterließ.

Shawn Lane litt Zeit seines Lebens an Psoriasis-Arthritis und starb im September 2003 im Alter von 40 Jahren.

Guthrie Govan – Der Professor des Unmöglichen

Wer Guthrie Govan einmal spielen gesehen hat, versteht, warum er unter Gitarristen als Legende gilt. Mit The Aristocrats oder Asia verbindet er Jazz-Harmonik, Rock-Energie und Fusion-Komplexität zu einem Stil, der zwischen Genie und Wahnsinn balanciert.

Guthrie Govan mit Charvel E-Gitarre.
Guthrie Govan (Bild: Rotosound)

Govan ist kein Showman, sondern ein Vollblutmusiker mit überragendem Gespür für Ton und Ausdruck. Seine Soli erzählen Geschichten, seine Dynamik ist einzigartig. Dass er nie im Mainstream angekommen ist, liegt keineswegs an fehlendem Talent, sondern an der Tiefe seiner Musik, die zu komplex für die Charts, zu ehrlich für reine Virtuosen-Showcases ist. Für viele Gitarristen ist er daher der Inbegriff von musikalischer Integrität.

Dass Guthrie nicht nur vollständig auf dem Teppich geblieben ist, sondern auch insgesamt ein wirklich netter Kerl ist, beweist er immer wieder im Rahmen seiner zahlreichen Clinics auf’s Neue. Ein absoluter Muss für alle Gitarristen, die ihren Horizont auf dem Griffbrett erweitern möchten!

Nita Strauss – Power, Präzision und Präsenz

Gitarristin Nita Strauss mit Ibanez E-Gitarre.
Nita Strauss (Bild: Ibanez)

Von The Iron Maidens bis zu Alice Cooper – Nita Strauss hat sich ihren Platz in der Männerdomäne der Rock-Gitarre wirklich hart erkämpft. Ihre Spielweise kombiniert klassische Shred-Technik mit melodischem Gespür und kompromissloser Bühnenenergie. Ein Paradebeispiel für ihre enorme Vielseitigkeit ist ihr Soloalbum Controlled Chaos: hier trifft technische Perfektion auf ausdrucksstarke Riffs und durchdachtes Songwriting.

Strauss ist also nicht nur eine begnadete Gitarristin, sondern zugleich auch Role Model für eine neue Generation weiblicher Gitarristinnen. Dass sie trotz wachsender Popularität oft übersehen wird, liegt wohl daran, dass sie häufig zwischen den Genres wandert. So zuletzt auch ihr Wechsel in die Crew von Pop-Star Demi Lovato, der zwar von einigen alteingesessenen Gatekeepern kritisiert wurde, jedoch umso mehr beweist, dass Nita wirklich alles kann – und genau das macht sie so spannend.

Tosin Abasi – Architekt des modernen Progressive Metal

Tosin Abasi hat das Gitarrenspiel im 21. Jahrhundert revolutioniert. Mit Animals as Leaders definierte er, wie moderne Metal-Gitarre klingen kann: polyrhythmisch, komplex, zugleich jedoch ästhetisch.

Ein besonderes Markenzeichen seines Sounds ist die 8-String-Gitarre, deren enormen Tonumfang er im Gegensatz zu vielen anderen Gitarristen jedoch vollständig und äußerst effizient zu nutzen weiß. Statt sich überwiegend auf das tiefe Tonregister seines Instruments zu beschränken, denkt er das Instrument gänzlich neu. Kein Wunder also, dass Tosin häufiger mal eher unorthodoxe Spieltechniken wie zum Beispiel ausgeklügelte Double Thumbs im Stile von Victor Wooten in sein Spiel inkorporiert.

Tosin Abasi mit E-Gitarre
Tosin Abasi (Bild: Jen Rosenstein/Guitar World Magazine)

Dass er nicht nur begnadeter Gitarrist sondern auch genialer Songwriter ist, beweist die Diskografie seiner rein instrumentalen Progressive-Metal-Band Animals as Leaders. Abasi komponiert mit orchestraler Weitsicht und schreibt seine Riffs mathematisch präzise und emotional zugleich. Obwohl Tosin und seine Band innerhalb der Djent-Gemeinde als ernstzunehmende Größe gilt, ist er in weiteren Kreisen relativ unbekannt geblieben. Der amerikanische Rapper JPEGMafia verwendete allerdings ein Sample des Songs Monomyth auf seinem Track END CREDITS!. Insofern zeigt sich, dass Tosins Gitarrenarbeit unter Umständen durchaus auch massentauglich sein kann.

Neben seiner Band gründete er ebenfalls seine eigene Gitarrenmarke Abasi Concepts. Hier entwickelt er neuartige Gitarren-Designs, die ganz klar die Ergonomie in den Vordergrund stellen und die perfekte Basis für höchste spieltechnische Höchstleistungen bilden.

Michael Landau – Der Mann hinter unzähligen Hits

Kaum ein Gitarrist hat es geschafft, sein Können auf so vielen Alben unter Beweis zu stellen – und doch so unsichtbar zu bleiben. Michael Landau ist seit den Achtzigerjahren einer der gefragtesten Session-Gitarristen der Welt. Von Michael Jackson über Joni Mitchell und Jennifer Lopez bis Seal prägen seine Gitarrenparts unzählige Welthits. Kein Wunder also, dass er selbst unter den Ikonen der Musikwelt schlicht als „The Man“ gehandelt wird.

Gitarrist Michael Landau mit Fender Stratocaster
Michael Landau (Bild: Fender)

Sein Ton ist unverwechselbar – warm, kontrolliert, aber nie steril. Landau versteht es, Songs zu veredeln, ohne sich in den Vordergrund zu spielen. Ein klares Markenzeichen seines Sounds sind die sogenannten „Magic Chords“ – per Volume Swell lässt er Akkorde in den Song ‚schweben‘. Eine Technik, die er vor allem in Balladen von Mariah Carey und Céline Dion häufiger zum Einsatz brachte.

In seinen Solo-Projekten zeigt er dann, dass er nicht nur begleiten, sondern ebenso faszinierend erzählen kann. Für viele Profis ist Landau genau das, was man „den Musiker unter den Musikern“ nennt. Obwohl sein Name nicht denselben Nimbus wie Clapton, Beck oder Gallagher umgibt, zählt seine Signature Stratocaster trotzdem bereits seit Jahren zu den erfolgreichsten und gefragtesten Custom-Shop-Modellen des Herstellers.

Ron Jarzombek – Prog-Pionier zwischen Genie und Wahnsinn

Es gibt Gitarristen, die sind selbst unter Nichtmusikern weltbekannt. Dann gibt es die sogenannten „Musician’s Musicians“, die von der Gitarristengemeinde aufgrund ihrer virtuosen Technik gefeiert werden. Und dann gibt es da noch Ron Jarzombek.

Gitarrist Ron Jarzombek mit E-Gitarre
Ron Jarzombek (Bild: ronjarzombek.com)

Obwohl sein Name nur den kleinsten Kreisen der Gitarrengemeinde bekannt ist, ist sein Einfluss auf den modernen Progressive Metal wirklich enorm. Kenner bezeichnen ihn gar als „Godfather of Technical Metal“, selbst Dream Theaters John Petrucci nennt Ron als Einfluss und kann seine Gitarrenarbeit bei WatchTower nicht genug lobpreisen. Auch für Muhammed Suiçmez von Necrophagist ist Ron ein Idol, Joel McIver führt ihn in seinem Buch The 100 Greatest Metal Guitarists gar als „most underrated axemonger ever“.

Wer Ron Jarzombeks wahrhaft einzigartigen Ansatz ans technische Gitarrenspiel in Aktion erleben möchte, dem sind seine Soloalben sowie seine Bandprojekte Spastic Ink und Blotted Science sehr ans Herz zu legen. Ergänzend hierzu veröffentlicht Ron auf seinem YouTube-Kanal für die Musiktheorie-Nerds unter uns regelmäßig Videos zu seinen einzigartigen harmonischen Konzepten und Systemen, mithilfe derer er wahrhaft einzigartige Songs schreibt. Darüber hinaus baut er seine eigenen E-Gitarren und ist durch gelegentliche Gastauftritte auf Aufnahmen von Marty Friedman, Jeff Loomis und den kanadischen Prog-Metallern Protest the Hero zu hören.

Fazit

Allen hier genannten Gitarristen gemein ist ihre Individualität. Sie folgen keinen Trends, stattdessen erschaffen sie sie lieber. Ob im Studio, auf der Bühne oder online – sie inspirieren zahllose Musiker, ohne je den Ruhm der ganz großen Rock-Ikonen zu genießen. Aber vielleicht ist es auch gerade das, was sie in ihrem Schaffen so integer erscheinen lässt.

Sicherlich hätten sich unzählige weitere ebenfalls unterschätzte Gitarristen einen Platz auf dieser Liste verdient. Ein Blick auf YouTube, Instagram oder TikTok zeigt eindrucksvoll, dass es gerade heutzutage unzählige Gitarristen gibt, die viel Schweiß, Blut und Tränen in ihrer Kunst stecken, ohne je die großen Bühnen bespielen zu dürfen. Aber in einer Zeit, in der viele Gitarristen nach Likes und Klicks jagen, sind sie das genaue Gegenteil: Statt View-Zahlen lassen sie lieber ihre Musik sprechen.

Vielleicht sind sie also nicht die lautesten, oder die gefragtesten Musiker unserer Zeit. Aber sie sind definitiv diejenigen, die das Instrument für kommende Generationen am Leben halten – zwar nicht mit Ruhm, dafür aber mit Herz, Hirn und Hingabe.

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