Online Lessons vs. Echter Unterricht
Kann man sich E-Gitarre selbst beibringen? Was für eine Frage! „Klar doch“, würde Jimi sagen. „Na sicher“, würde John Frusciante ihm beipflichten und selbst Sound-Experte Tom Morello zuckt nur mit den Schultern und sagt: „Na logo, hört man doch!“. Tatsächlich ist die Liste derer, die mit der Gitarre berühmt geworden sind, aber nie richtigen Unterricht hatten, lang. Zu den bereits genannten gesellen sich Legenden wie Django Reinhardt, Eric Clapton, Eddie Van Halen, Prince, Wes Montgomery, Brian May, Pat Metheny, Kurt Cobain und die ganzen alten Blueser sowieso.
Doch auch wenn die spontane, kurze Antwort auf die Frage intuitiv ein deutliches „Ja“ sein mag, so haben die genannten Autodidakten eine Gemeinsamkeit, die die Antwort realistischer zu einem „Jein“ werden lassen: Sie alle haben sich eine gehörige Portion ihres Könnens abgeguckt bzw. abgehört. Die besten Gitarristen wurden nur so gut, weil sie andere Gitarristen oder Instrumentalisten anderer Couleur kopiert, nachgeahmt, adaptiert und aufgesogen haben. Das kann man selbstverständlich nicht als Unterricht bezeichnen, aber lernen tut man davon auch, denn eine gute Platte zu transkribieren und nachzuspielen, kann so manchen Lehrer arbeitslos machen.
E-Gitarre selber lernen auf YouTube, Sirius & co
Und im Vergleich zu heute hatte man es vor 30, 50 oder 80 Jahren noch ungleich schwerer. Heute haben wir YouTube, das voll ist mit Tutorials, Playalongs, Anleitungen und Analysen. Da gibt es so viel Stoff, dass ein Leben gar nicht reichen würde, das alles durchzuspielen. Heute haben wir Unterrichtsbücher für jeden Fähigkeitsstand, jedes Genre und jedes Alter. Heute haben wir ganze Online-Schulen, wie die Guitar Summit Academy, Pickup Music oder Sirius. Ganz zu schweigen von Patreon, wo sich unzählige mehr als lohnenswerte Online-Teacher tummeln.

Früher gab es lediglich das Radio, die Schallplatte und Live-Konzerte, die Musiker zur Grundlage ihrer Blaupause nutzen konnten. Es lebe also die Gegenwart, wenn es um das Lernen eines Instrumentes geht! Denn wer heute Gitarre lernt, ist selten wirklich Autodidakt. Stattdessen hat man ein ganzes Heer von Online-Lehrern an der Seite: Das Internet ist längst die größte Musikschule der Welt. Nur dass man hier keine Unterrichtsstunde buchen muss (was auch möglich wäre), sondern selbst entscheidet, wann, was und wie man lernt.
Selbststudium ohne Lehrer?
Aber: So ganz ohne Lehrer lernt auch heute niemand. Wer beispielsweise YouTube schaut, hat einen Lehrer – nur eben auf dem Bildschirm. Die Frage ist also weniger, ob man alleine lernen kann, sondern wie gut man mit digitalen Lehrmethoden zurechtkommt und ob man das Richtige findet. Denn zur Wahrheit gehört auch: Das Netz ist voll von halbgaren Tutorials, schwer lesbaren oder falschen Tabs und „In 5 Minuten zum Solo-Profi“-Versprechen.
Das Gute: Auch das Aussortieren gehört zum Lernprozess. Denn Selbstlernen bedeutet heute vor allem, sich seinen eigenen Unterricht zusammenzustellen und aus der Fülle an Angeboten das für einen selbst Passende auszuwählen. Und da ist es genau wie früher: Man probiert aus, kombiniert verschiedene Quellen, vergleicht Stile, hört sich um. Gerade das ist es, wodurch man seinen eigenen Stil, seine Vorlieben und letztendlich seine eigene, sehr persönliche Spielweise entwickelt.

Und das funktioniert erstaunlich gut. Die Einstiegshürden waren nie niedriger: Ein Smartphone, eine (günstige) E-Gitarre, Kopfhörer – und schon kann es losgehen. Tutorials zeigen jeden Griff, jede Spieltechnik, jeden Song. Apps und Play-Alongs liefern Rhythmus und Bandfeeling, Tabs und/oder Noten gibt es in allen möglichen Varianten. Wer motiviert ist, kann innerhalb weniger Wochen erste Riffs und einfache Songs spielen. Und Fortgeschrittene wie Profis können richtig tief einsteigen in die Materie. Nur die Motivation muss von einem selbst kommen, da führt kein Weg dran vorbei. Und das ist etwas, bei dem Online-Lehrgänge einen echten Lehrer kaum ersetzen können.
Außerdem: Ein Video korrigiert keine krumme Handhaltung, keine verkrampfte Anschlagbewegung, kein Timing-Problem. Ein Video sendet nur, kann aber naturgemäß nicht reagieren. Wer also langfristig sauber spielen will, profitiert von Feedback – ob durch einen Lehrer, eine Band oder einfach durch regelmäßige Aufnahmen und Selbstkritik. Da kann ein erfahrener Blick von außen durchaus helfen, falsche Angewohnheiten früh zu erkennen, bevor sie sich festsetzen.
Fazit
Doch letztendlich ist allein entscheidend, dass man überhaupt spielt, und zwar regelmäßig. Mit Neugier, mit Spaß, mit Durchhaltevermögen und mit einem Instrument, das zu einem passt. Ob mit Unterricht, App oder YouTube-Kanal ist da eher zweitrangig und auch eine sehr persönliche Angelegenheit. Wichtig ist, dass die Gitarre nicht irgendwann in der Ecke landet. Denn das eigentliche Lernen geschieht nicht durch Zuschauen, sondern durch Tun: Finger an die Saiten, Ohr an den Amp, und selbstkritische Aufmerksamkeit für das eigene Tun. Da gehören Fehler dazu, und ob man die selbst erkennt oder jemand anderen und erfahrenen sich derer annehmen lässt, ist jedem selbst überlassen. Das Fazit also: Eine Kombination aus Unterricht und Selbstverantwortung ist wahrscheinlich die effektivste Methode ein Instrument zu lernen.
