Granularsynthese für E-Gitarre – Die besten Tools für Grain-Texturen und Klangexperimente

Granularsynthese für E-Gitarre – Klangtexturen zwischen Sounddesign und Effekttechnik

Granularsynthese gilt seit einigen Jahren als fortgeschrittenes Verfahren der digitalen Klangsynthese und wird traditionell vor allem im Bereich elektronischer Musik, in Software-Samplern und in experimentellen Klangexperimenten eingesetzt. In der Gitarrenwelt spielte sie lange Zeit kaum eine Rolle, da Gitarrensignale typischerweise durch analoge Verstärkung, klassische Modulationseffekte oder Delay-Strukturen geformt werden.

Erst die zunehmende Verfügbarkeit leistungsfähiger DSP-Chips, kompakter Effektarchitekturen und moderner Pedaldesigns hat dazu geführt, dass Granularalgorithmen inzwischen auch in Bodentretern speziell für E-Gitarre eingesetzt werden können und sich in dem ein oder anderen Effektpedal oder Modeler wieder finden. Damit eröffnet sich Gitarristinnen und Gitarristen ein völlig neues Spektrum an Klanggestaltung, das weit über traditionelle Effekte wie Chorus, Delay oder Reverb hinausgeht.

Was ist Granularsynthese?

Grundlage der Granularsynthese ist die Zerlegung eines Audiosignals in sehr kurze Fragmente, die sogenannten Grains. Diese Grains liegen in der Regel unterhalb von fünfzig Millisekunden und bilden die elementaren Bausteine, aus denen in hoher Abspieldichte ein neuer Klang generiert wird. Durch die Variation der Abspielposition, der Geschwindigkeit, der Tonhöhe und der Hüllkurve eines jeden Grains verliert der Klang seine ursprüngliche zeitliche und tonale Struktur. Es entsteht ein künstliches, aber organisch wirkendes Kontinuum aus Mikrofragmenten, also aus kleinen Klangschnipseln.

Native Instruments Wave Audiomaterial Grains
Das dargestellte Audiomaterial wurde in Grains aufgeteilt. – Foto: Native Instruments

Die Technik ähnelt der Bildstruktur eines Films, bei dem Einzelbilder durch schnelle Abfolge zu einer flüssigen Bewegung verschmelzen. Während im Film kontinuierliche Bildabfolgen entstehen, bildet die Granularsynthese aus einer Vielzahl kurzer Klangkörner eine neue, oft schwebend klingende oder schimmernde Klanglandschaft.

Der große technische Vorteil dieses Verfahrens liegt darin, dass Tonhöhe und Wiedergabegeschwindigkeit voneinander entkoppelt werden und separat funktionieren. Ein Gitarrenton kann dadurch „gedehnt“ werden, ohne dass sich dessen Grundfrequenz proportional verändert, oder er kann in der Tonhöhe verschoben werden, ohne dass der zeitliche Verlauf beeinflusst wird.

Grafische Darstellung eines in Grains aufgeteilten Klangwelle. – Grafik: Universität Bonn

Dies ermöglicht klangliche Ergebnisse, die mit klassischen Delay- oder Time-Stretching-Verfahren nicht erreichbar sind. Besonders interessant ist die Möglichkeit, das Eingangssignal „einzufrieren“, indem Grains aus einem festgehaltenen Audiopunkt kontinuierlich wiederholt und variiert werden. Diese sogenannten Freeze-Effekte eignen sich hervorragend für Ambient-Flächen, Hintergrundtexturen oder experimentelle Klangüberlagerungen.

Für welche Stile und Genres lässt sich Granularsynthese einsetzen?

Für die Anwendung an der E-Gitarre bedeutet dies, dass das traditionelle Spielszenario aus Anschlag, Tonhöhe und Ausklingen durch ein digitales Gegenmodell erweitert wird, bei dem das gespielte Material nicht mehr nur in seiner natürlichen Hüllkurve wahrgenommen wird. Stattdessen kann es granuliert, zerlegt, rückwärts versetzt, gepitcht oder in sehr dichte Texturschichten umgewandelt werden.

Dabei ist die Granularsynthese nicht nur ein klangästhetisches Werkzeug für Ambient-Gitarristen, sondern auch ein strukturelles Hilfsmittel für Komposition, Sounddesign und experimentelle Stilrichtungen wie Post-Rock, Shoegaze, Lofi, Ambient oder elektronische Fusion-Genres.

Granularsynthese: Die besten Tools für E-Gitarre

Im Folgenden stellen wir euch einige Werkzeuge vor, die Granulartechniken besonders zugänglich machen und sich für Gitarristinnen und Gitarristen eignen, die ihre Klangsprache gezielt erweitern möchten. Es gibt verschiedene Pedale, Geräte und Software, mit der sich mehr oder weniger detailliert arbeiten lässt. Dabei kommt es nicht drauf an, wie viele Features die jeweiligen Tools mitbringen, sondern wie zugänglich und vor allem zuverlässig die Bedienung, Gestaltung und Umsetzung der Sounds funktionieren.

Falls ihr also noch wenig bis keine Erfahrung mit Granularsynthese habt, dann gibt es hier fünf verschiedene Werkzeuge, mit denen ihr euren Sound in ein Geflecht aus Grains zu verträumten Gitarrentexturen zusammenbasteln könnt!

Walrus Audio Fable

Das Walrus Audio Fable verfolgt ein etwas anderes Konzept und fokussiert sich stärker auf die Erzeugung granularer Soundscapes mit Reverb-Charakter. Zwei leistungsstarke DSPs arbeiten parallel und erzeugen Kombinationen aus Delays und granularem Reverb, die sich durch ihre Tiefe und Komplexität auszeichnen. Der Granularalgorithmus nimmt das Eingangssignal auf Mikroebene auf, zerteilt es und legt die Grains anschließend zeitlich verschoben und in variierter Tonhöhe in das Gesamtklangbild.

Dadurch entstehen atmosphärische Effektgebilde, die weit über die Struktur normaler Reverb- oder Delayprozessoren hinausgehen. Das Pedal eignet sich besonders für Gitarristinnen und Gitarristen, die eine dichte, schwebende Klangästhetik suchen und die granulare Bearbeitung als integralen Bestandteil ihres Textursounds einsetzen möchten. Die Möglichkeit, Parameter wie Grain-Verhalten, Modulation oder Zeitverläufe in Echtzeit anzupassen, unterstützt eine dynamische Spielweise, bei der Klangflächen in ständiger Veränderung bleiben.


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Walrus Audio Fable Granular Soundscape Generator

Red Panda Particle 2

Das Red Panda Particle 2 zählt zu den ersten Granularpedalen, die sich vollständig in ein pedalboardorientiertes Format übertragen lassen, ohne die technische Komplexität des Verfahrens einzuschränken. Die interne Engine zerlegt das Eingangssignal in Grains mit Längen im Millisekundenbereich und erlaubt sowohl klassische Delayprozesse als auch Pitch-Shift-Manipulationen auf granularer Ebene. Der leistungsstarke DSP ermöglicht eine hohe Grain-Dichte, wodurch das Pedal sowohl subtile als auch extrem texturierte Klangbilder erzeugen kann.

Durch verschiedene Delay- und Pitch-Modi lässt sich das Gerät sowohl als atmosphärische Erweiterung eines traditionellen Gitarrensounds nutzen als auch als Effektprozessor, der bewusst unnatürliche Artefakte wie stotternde Wiederholungen, glitchartige Zerfallsbewegungen oder mechanisch wirkende Tonhöhenversetzungen erzeugt. Die Möglichkeit, Parameter wie Grain-Größe, Abspielposition und Feedback in Echtzeit zu kontrollieren, macht das Particle 2 zu einem hochflexiblen Werkzeug für experimentelle Gitarrenarbeit.


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Red Panda Particle 2

Walrus Audio Qi Etherealizer

Hier kommt ein weiterer Vertreter von Walrus Audio, der im Vergleich zum Fable jedoch ein deutlich experimentierfreudigeres Konzept verfolgt: Das Walrus Audio Qi Etherealizer wurde in enger Zusammenarbeit mit der Math-Rock-Größe Yvette Young entwickelt.

Das Gerät kombiniert Chorus-, Delay-, Reverb- und Grain-Sektionen und erlaubt sowohl serielles als auch paralleles Routing. Besonders die Grain-Sektion ist technisch interessant, da sie sowohl granulare Klangzerlegung als auch phrasiertes Sample-Playback ermöglicht. Gitarristinnen und Gitarristen erhalten damit ein Werkzeug, das granulare Texturen mit traditionellen Modulations- und Raumeffekten verknüpft.

Die Klanggestaltung erfolgt über Parameter wie Playback-Geschwindigkeit, Positionierung der Grains, Grain-Verhalten sowie die übergeordneten Effekteinstellungen der anderen Sektionen. Durch die Möglichkeit, Freeze-Funktionen oder Delay-Oszillationen über Fußschalter in Echtzeit auszulösen, wird der Qi Etherealizer zu einem präzise steuerbaren Performance-Werkzeug, das trotz seiner Komplexität gut strukturiert bleibt.

Wer noch mehr zum Qi Etherealizer erfahren möchte: Hier geht’s zum Testbericht 


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Walrus Audio Qi Etherealizer Terracotta

Sonicware LIVEN Texture Lab

Mit dem Sonicware LIVEN Texture Lab steht schließlich ein eigenständiges Granular-Instrument bereit, das zwar nicht als klassisches Gitarrenpedal konzipiert wurde, aber über seinen Stereo-Audioeingang Gitarrensignale hervorragend als Effektprozessor verarbeiten kann.

Das Gerät arbeitet sowohl im Synthesizer- als auch im Effektmodus und kann Audiomaterial in Samples von bis zu sechs Sekunden Länge aufnehmen. Diese Samples lassen sich anschließend granulieren, resamplen, in ihrer Struktur verändern und mit Hüllkurven, Filtern oder Reverb direkt am Gerät formen und modulieren. Der Effektmodus erlaubt eine Echtzeitbearbeitung eingehender Gitarrensignale, wodurch Texturen entstehen können, die sich deutlich von pedalbasierten Granularlösungen unterscheiden.

Durch Funktionen wie Parameterlocks, integrierten Sequencer und polyphone Voice-Modes ist das Texture Lab ein äußerst tiefgreifendes Werkzeug, das sowohl live als auch im Studio für ausgeprägte Klangexperimente eingesetzt werden kann.

Alternative: Sonicware hat mit dem LIVEN Evoke eine Groovebox entwickelt, die einen etwas zugänglicheren Workflow mitbringt als das Texture Lab und ebenso als Granularprozessor genutzt werden kann. Eine ausführliche Erklärung zum Sonicware LIVEN Evoke findet ihr im Testbericht auf keyboards.de!


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Sonicware LIVEN Texture Lab Sampler

Software-Lösungen für Granularsynthese

Während granulare Effekte im Pedalformat vor allem für Live-Situationen und spontane Klangexperimente geeignet sind, bietet der Softwarebereich deutlich tiefere Eingriffsmöglichkeiten und einen erweiterten Funktionsumfang, der besonders im (Home-)Studioalltag von Vorteil ist.

Ein prominentes Beispiel ist Padshop 2 von Steinberg, das Granular- und Spektraloszillation in einer gemeinsamen Engine kombiniert und in der Vollversion von Cubase zu. Beide Oszillatorformen greifen auf extrem kleine Samplefragmente zu, verarbeiten sie jedoch nach unterschiedlichen mathematischen Prinzipien, was Padshop 2 eine außergewöhnlich breite klangliche Spannweite verleiht. Neben über fünfhundert vorproduzierten Presets können Nutzer eigenes Audiomaterial importieren, granulieren, resynthetisieren und anschließend durch Modulationen sowie Filterstrukturen weiter transformieren.

Das in Cubase integrierte Padshop 2 Plugin ermöglicht Audiospuren direkt in den zentralen Screen zu ziehen und diese mit zahlreichen Parametern in Grains zu spalten. Die Grain-Dichte, Tonhöhe, Geschwindigkeit und weitere Eigenschaften lassen sich tiefgreifend bearbeiten.

Die Kombination aus Granularund Spektraloszillator ermöglicht es, Samplematerial nicht nur in Zeit und Tonhöhe zu verändern, sondern auch seine spektrale Struktur neu zusammenzusetzen. Dadurch entstehen komplexe Texturen, die das Funktionsspektrum klassischer Effektpedale deutlich überschreiten.

Ähnliche Konzepte verfolgen auch andere Softwarelösungen wie Native Instruments Straylight, das speziell für filmische Klanggestaltung entwickelt wurde und granulare Verfahren mit morphenden Samplelayern kombiniert, oder Abletons Granulator II, der durch seine enge Integration in die DAW-Modulationsumgebung ein präzises Arbeiten mit Grain-Parametern ermöglicht.

Native Instruments Straylight
Native Instruments Straylight

Wer dagegen zunächst einen niedrigschwelligen Einstieg sucht, findet mit Hvoya Audio Ribs ein frei verfügbares Plugin, das verschiedene granularbasierte Echtzeitmanipulationen erlaubt und besonders für experimentelle Musikproduktion geeignet ist. Insgesamt zeigt der Softwarebereich, dass Musiker und Sounddesigner granulare Klangsynthese nicht mehr nur für atmosphärische oder ambientale Strukturen einsetzen, sondern sie als vollwertige Methode der Resynthese und Klanggestaltung nutzen, die in modernen DAWs ein hochauflösendes, kontrolliertes und vor allem spannendes Sounddesign ermöglicht.


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Software Plugins

Fazit: Experimentierfreude mit Granularsynthese

Abschließend lässt sich feststellen, dass die Granularsynthese der E-Gitarre eine neue Dimension der klanglichen Freiheit verleiht. Während klassische Effekte wie Delay, Reverb oder Modulation das Eingangssignal zeitlich beeinflussen oder verfremden, transformiert die Granulartechnik es auf einer mikrostrukturellen Ebene.

Die vorgestellten Werkzeuge zeigen, dass moderne Gitarrentechnologie längst nicht mehr darauf angewiesen ist, traditionelle Effektpfade zu verfolgen. Vielmehr eröffnet die Granularsynthese eine präzise und kontrollierbare Möglichkeit, die eigene Klangsprache zu erweitern und die Gitarre in ein Instrument für Sounddesign und audiovisuelle Texturarbeit zu verwandeln.

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